Der Weihnachtsmann – ein runder
alter Mann mit weißem Bart in rotem Mantel und mit roter Mütze auf einem
Rentierschlitten, der vom Nordpol aus alljährlich die Kinder der Welt beglückt,
so kennt man den festlichen Gabenbringer. Skeptiker werden aber nicht müde zu
behaupten, dass der so beschriebene Weihnachtsmann eine Kunstfigur sei, die von
einem amerikanischen Limonadenhersteller erfunden worden ist.
Man möchte ihnen Recht geben,
allerdings nicht in allen Punkten. So gibt es durchaus ein historisches Vorbild
für den kitschigen Mann mit Rauschbart. Hier kommt es jedoch auf die Details
an. Und zwar nicht nur, was die Herkunft und die Kleidung, sondern auch die
tierische Begleitung angeht.
Oft wird gesagt, dass der Ursprung
für den Weihnachtsmann beim heiligen Nikolaus liege. Stimmt, aber nur indirekt.
Vielmehr tritt der Weihnachtsmann das erste Mal auf, als St. Niklas abtreten
muss.
Es war in einem kleinen Örtchen im
heutigen Thüringen, welches aufgrund der Reformation plötzlich allen
katholischen Bräuchen eine Absage erteilte. Dies betraf auch die
Heiligenverehrung und somit zwangsläufig den Heiligen Nikolaus. Wo kein
Nikolaus, da auch kein gefüllter Stiefel am Nikolausabend. Mag die Abkehr aus
politisch-theologischer Sicht nachvollziehbar gewesen sein, für die Kinder war
es ein herber Verlust. Es fehlten sodann nicht nur Apfel, Nuss und Mandelkern,
sondern auch das wohlige Schaudern vor der Rute und der Frage, wer von den
Lausbuben, und natürlich auch Lausmädchen, vielleicht in den Sack gepackt
werde.
Während die meisten Erwachsenen und
Eltern diese einschneidende Veränderung mit einem gleichgültigen Schulterzucken
akzeptierten, wie sie als kleine Untertanen schon so oft und schon so vieles in
ihrem Leben akzeptieren mussten, gab es in besagtem Ort einen schmächtigen,
einfühlsamen Dorflehrer, der die Trauer der
Kinder nicht hinnehmen wollte. Er grübelte, wie er die gerissene Lücke
schließen konnte.
Als wieder einmal der Kirchenchor
zu seinen Proben für die Adventslieder in der Schule zusammengekommen war,
stellte er ihnen seinen Plan vor. Die anfängliche Skepsis wich schnell großer
Begeisterung, da sich plötzlich viele die schönen Nikolausabende ins Gedächtnis
riefen und erkannten, dass ihren Kindern etwas fehlte. Selbst der Pfarrer war
begeistert, wies aber darauf hin, dass der neue Gabenbringer dem Nikolaus nicht
zu sehr ähneln durfte, um Ärger mit der Obrigkeit zu vermeiden.
Er habe auch noch einen roten Anzug
übrig, warf der Schneider ein, den ein Geschäftsmann aus der Nachbarstadt
geordert hatte, aber plötzlich am Herztod gestorben wäre. Die Motten hätten
jedoch die Ränder schon angenagt. Da meinte der Schäfer, dass er gerne etwas
Lammfell zur Behebung der Schäden beisteuern wolle. Außerdem könne sich das
Lehrerlein mit weiteren Lammfellresten einen Bart basteln, sodass ihn die
Kinder nicht gleich erkennen würden. Eine rote Schlafmütze mit Lammfellrand
sollte die Verkleidung komplettieren. Das unterscheide ihn klar vom Nikolaus
und seiner Mitra, Bischofsstab und goldenem Gewand. Ein begeistertes Prost
besiegelte den Plan.
Alle Eltern sollten zudem
aufgerufen werden, kleine Geschenke für die Kinder beizusteuern. Emsig machten
man sich ans Werk.
Bald schon war Weihnachten. Der
Lehrer hatte die Tage in der nahen Residenzstadt verbracht, da sein Dienstherr
alle Bediensteten kurzfristig zu einer Schulung einberufen hatte. Dies hatte
zur Folge, dass der zukünftige Weihnachtsmann keinen Einfluss mehr auf die
Vorbereitungen für den Heiligen Abend treffen konnte. Da er jedoch erst kurz
vor Dämmerungseinbruch wieder heimkehrte, blieb auch für Rücksprache keine
Zeit. Als er zu Hause ankam, sah er, dass seine Sorge unbegründet gewesen war:
Unter dem Vordach an seiner Hintertür lehnte der Sack mit den Gaben, daran
lehnte eine Rute und darauf lag das rote Gewand samt Bart und Mütze.
Geschwind entledigte er sich seinem
Reisegepäck und schlupfte in das Kostüm, doch oh Schreck! Der verblichene
Geschäftsmann hatte wohl einen deutlich größeren Bauchumfang gehabt, das
Oberhemd reichte dem Lehrerlein bis an die Knie und die Hose schlapperte im
Wind. Der designierte Gabenbringer war jedoch nicht auf den Kopf gefallen: Er
stapfte kurzerhand durch den tiefen Neuschnee zum benachbarten Bauern und bat
ihn um mehrere Handvoll Stroh, mit dem er das Gewand ausstopfte. Der Nachbar
half ihm auch den Bart aus Lammfell festzuzurren und die Mütze zu fixieren.
Voller Tatendrang kehrte der Rotgewandete zurück, um den Sack zu schultern und
die Kinder aufzusuchen. Jedoch kam das schmächtige Lehrerlein in seinem Stroh
gestopften Kleid nicht weit, konnte er doch trotz allen Kraftaufwands den Sack
nicht mehr als ein, zwei Meter tragen, dann musste minutenlang verschnaufen. In
diesem Tempo würde er kaum alle Familien in der Nacht besuchen können. Er hatte
ja noch nicht einmal seinen Garten verlassen.
Plötzlich hörte er Schritte im
Schnee. Der benachbarte Bauer hatte das vergebliche Bemühen beobachtet und
daraufhin aus seinem Schuppen den Lastenschlitten geholt. Zu zweit gelang es
den beiden, den Sack auf das Gefährt zu hieven. Doch auch jetzt noch war das
Lehrerlein zu schwach, um den Schlitten fortzubewegen. Der Bauer jedoch konnte
ihn nicht begleiten, denn seine Frau lag krank im Bett. Alle anderen Männer
waren bereits im Kreise ihrer Familien beim Adventslieder singen. Auch konnte
ihm der Landwirt seinen Ochsen für den Schlitten nicht zur Verfügung stellen,
da dieser sich das Bein verstaucht hatte. Nun war guter Rat teuer. Stumm
sinnierten die beiden in der kalten Winternacht. Die Stille wurde nur durch das
Grunzen der Schweine des Bauern unterbrochen, die noch ganz aufgeregt waren,
weil er seinen Schlitten mitten in der Nacht aus dem Stall herausgeholt hatte.
Plötzlich rannte der Bauer los. Minuten
später kam er mit einer Sau im Schlepptau zurück. Damit sollte es gehen, meinte
er und spannte das Tier ins Geschirr. Und siehe da, das überaus zahme
Borstentier zog bereitwillig den Schlitten über die verschneiten Wege.
Das etwas schräge Paar hatte großen
Erfolg. An den Fenstern lugten leuchteten Kinderaugen hervor, die den roten
Mann mit seinem Schwein beobachteten, wie er all überall Gaben und Geschenke
brachte. Von nun an sollte der Weihnachtsmann, wie er alsbald genannt wurde,
regelmäßig kommen. Bald schmückten sein Bild jede Stube: der dicke rote Mann
mit Rauschebart auf einem Schlitten gezogen von einem Schwein.
Schnell sprach sich dieser
wundersame neue Brauch in der Gegend herum. Die Geschichte erreichte auch das
Städtchen Sonneberg, welches für seine Spielzeugproduktion, dem „Nürnberger
Tand“ weit und breit bekannt war. Die wichtigen Herren der Stadt fanden großen
Gefallen an der Idee, dass es nun zu Heiligabend ein gewichtiger Gabenbringer Geschenke
an die Kleinen verteilen sollte. Warum aber sollten das nur Nüsse und Lebkuchen
sein, Spielzeug wäre doch auch eine Option. Irritiert waren sie allerdings von
dem Begleiter des so genannten Weihnachtsmanns. Ein Schwein passte so gar nicht
in ihre herrschaftliche Vorstellung. Schnell einigte man sich darauf, die Sau
durch stattliche Hirsche, die den fliegenden Schlitten im Verbund ziehen
sollten, zu ersetzten. Auch sollte der Weihnachtsmann mystischer werden und so
wurde sein Wohnort, der bisher irgendwo im thüringischen Wald lag, an den
Nordpol verlegt.
Kaum war die Marketingmaschine
angelaufen, dominierte bald das neue Bild des Weihnachtsmanns, welches im Jahre
1900 auch auf der Weltausstellung in Paris vorgestellt wurde. Dort sah es ein
US-Amerikaner, der für einen Limonadenhersteller arbeitete, und der Rest ist
Geschichte.
Das Weihnachtsschwein hatte leider
nur eine kurze Blüte. Allerdings war unter den ersten Kindern, die von ihm und
dem Weihnachtsmann beschenkt worden waren, eine Junge, der später eine Karriere
als Konditor in Lübeck machen sollte. Da er es sehr schade fand, dass das
Weihnachtsschwein so unwürdig abserviert worden war, er es aber in schöner
Erinnerung hatte, verschaffte der dem Schweinchen eine neue Aufgabe: Von nun an
war es der ständige Begleiter der Schornsteinfegerfigur, die er als
Neujahrsglücksgruß zwischen seinen Kuchen und Torten anbot. Als rosa
Marzipanfigur mit Glückspfennig im Maul war das Schwein bald sogar beliebter
als einst. Und ist es bis heute. Welch ein Glück!
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