Sonntag, März 16, 2008

Wo? Lnzach!




Polen kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Unterbrochen zwar durch mehrere Teilungen, doch heute ist es ein vollständiges und vollwertiges Mitglied der Europäischen Union. Wolnzach wurde nie geteilt, hat aber eine fast so lange Geschichte. Und seit drei Wochen bin ich Teil dieser Geschichte.
Wolnzach liegt nicht in Polen, auch wenn es so klingt. Wolnzach (sprich: Woinzach) befindet sich zwar im Grenzgebiet, aber nicht zwischen Polen und Bayern – wie mein Bruder auf Grund des Namens vermutete – sondern an der Grenze von Ober- und Niederbayern. Dieses Grenzgebiet ist auch nicht von Zäunen, Wällen und Selbstschussanlagen durchzogen. Nein, wohin man blickt, ragen bis zu sieben Meter hohe Masten in den Himmel, als müssten sie ihn stützen: Hopfenstangen. Hier gedeiht der Grundstoff des Grundnahrungsmittels der Bayern (Nein, weder Leberkas noch Weißwürst´ werden aus Hopfen hergestellt): Bier. Kein Wunder schmeckt bayerisches Bier so gut, kann doch der Hopfen glücklich in der malerischen Landschaft der Hallertau gedeihen, der so genannten Bayerischen Toskana.
Durchbrochen wird dieses Idyll lediglich von zwei Autobahnen (A 8, A 93), die man in Wolnzach von fast überall sieht und auch hört, und einer ICE-Strecke, zu der wir noch kommen werden.
Warum beschreibe ich aber dieses Paradies auf Erden? Habe ich mein Fach gewechselt und bin nun statt Lehrer doch Reisekaufmann geworden?
Nein! Gerade weil ich Lehrer werden will, ungebunden, evangelisch und nicht in DER Partei bin, wurde ich Bewohner der stolzen Marktgemeinde Wolnzach in der Hallertau. Genauer gesagt, lebe ich im Vorort Geroldshausen, denn Wolnzach war mir mit seinen 11000 Einwohnern doch etwas zu groß. Jetzt sind es beschauliche 800. Und um dem Großstadtstress gänzlich zu entgehen, zog es mich auf einen Bauernhof, ins Erntehelferzimmer, im Keller ohne Telefon- und TV-Anschluss, ohne Handyempfang und Internet. -----Ruhe, ist´s was ich gefunden.
Wenigstens habe ich eine Waschmaschine zur Verfügung (die genaueren Umstände dieser Tatsache kann jeder gerne mal in einem persönlichen Telefonat erfahren – so fern ihr mich erreicht;).
Manch einem wird die Ironie dieser Situation nicht so ganz bewusst sein, darum hier der kleine Hinweis, dass ich in einem kleinen, schwäbischen Ort namens Hechingen, 12000 Einwohner, groß geworden bin. Aber auch dieser war zu groß, daher zogen wir auf einen Bauernhof, wo ich im Keller, ohne Telefon- und TV-Anschluss, ohne Handyempfang und Internet (zur Ehrenrettung, das gab es damals noch nicht wirklich) lebte. Man nannte es jedoch Kinderzimmer, was allerdings nur eine politische korrekte Bezeichnung für „Erntehelferzimmer“ war.

Dafür habe ich 12 Semester in München studiert? Ja.

Wolnzach. Die Hopfenmetropole. Mein Lebensmittelpunkt.
Sollte es mir hier dennoch mal zu ruhig werden, was angesichts der bisher genannten Vorteile des Standorts schwer vorstellbar ist, liegt München gar nicht so weit. 35 Minuten mit dem Auto, wenn man eins hat... und zwischen 35 und 45 Minuten mit der Bahn. Also, ein Katzensprung - wenn man ein Auto hat. Denn Wolnzach kann keinen intakten Bahnhof vorweisen. Der liegt mittlerweile im sechs Kilometer entfernten Rohrbach (welches einfach geschickter an der ICE-Trassenführung liegt).


Der stillgelegete Bahnhof

Sechs Kilometer sind ja eigentlich auch nicht so weit. Dummerweise haben die Hallertauer zwischen Rohrbach und Wolnzach den einzigen wirklich steilen Berg der Gegend gesetzt, so dass Rad fahren mit Reisetaschen selten Spaß macht. Nachts grenzt die Fahrt an ein Abenteuer, da der Waldradweg natürlicherweise unbeleuchtet, dafür aber kurvig und steil, gesäumt mit Abhängen ist. Die Landstraße hingegen ist beleuchtet, allerdings mit kleinen, roten Grableuchten an jeder schärferen Kurve, so dass ein nur bedingt lebensmüder Mensch, den Waldweg bevorzugt. Dieser hat tagsüber den Reiz, dass er direkt am Hopfenlehrpfad vorbeiführt. Wäre nicht Winter, ich wäre der erste schwäbische Hopfenexperte.
Die Hopfenmetropole Wolnzach hat aber auch hier vorgesorgt und das „Deutsche Hopfenmuseum“ eingerichtet, das vor allem mit seiner Architektur beeindruckt: Hopfenstangen halten das Vordach. Ein weiterer Pluspunkt ist das viersprachige Führungsangebot: deutsch, englisch, französisch und bairisch. Wie spricht man denn Hopfen auf Französisch aus? opfen?


Empfehlenswert ist auch die im mittelalterlichen Kern erhaltene Innenstadt des Marktes Wolnzach. Jeder sollte sich hier für einen Spaziergang Zeit nehmen. So ungefähr zehn Minuten. So lange dauert es vom Hopfenmuseum über den Marktplatz an der Kirche und dem Rathaus vorbei zum stillgelegten Bahnhof. Aber es sind schöne zehn Minuten.
Jedoch wegen all diesen Highlights befinde ich mich gar nicht in der Stadt.
Es ist die Pflicht, die ruft. Die Schule.



Seit Oktober 2007 offiziell Hallertau-Gymnasium Wolnzach (HGW) gerufen, ist ein Hort der pädagogischen Erfüllung: Angenehme Umgebung, freundliche, leistungsorientierte Schüler, die zum Glück aber Menschen geblieben sind und ein bissl rebellieren und pubertieren, kollegiales Kollegium (Ha! Das wollte ich immer schon mal schreiben), einen guten Pausenverkauf (dort gibt es Brotzeiten, keine Pausen, auch wenn man das auf den ersten Blick denken und hoffen könnte. Ich wollt mir ja schon immer mal beim „Straßenverkauf“ einen Feldweg leisten;), Internetanschluss (!), ... Wer jetzt denkt, dass schreibe ich nur für den Fall, dass mein Direktor durch Zufall auf die Seite stößt, hat nur bedingt recht. Es ist tatsächlich so.
Die Arbeitsbedingungen sind wirklich hervorragend, so dass ich die meiste Zeit in der Schule verbringe. Manch einer der Kollegen vermutet sogar, ich lebte da, im Keller. Er habe da so was gehört. Zur Beruhigung verweise ich dann immer auf meine tatsächliche Wohnlage. Was meine Kollegen meistens nicht beruhigt. Mitleidige Blicke pflastern meinen Weg;) Diese Reaktion konnte ich in letzter Zeit sogar noch steigern, denn Rudi – mein Vermieter – hat mich vor ein paar Tagen gefragt, ob ich ihm helfen könnte ein paar Hopfenpfostenlöcher zu graben. Konditioniert auf Handlangerarbeit wie ich bin – die Kindheit prägt mehr als man denkt – sagte ich ohne zu zögern zu. Rudi war erfreut, wies daraufhin, dass wir jetzt nur noch auf trockenes Wetter warten müssten, um dann mit dem Graben zu beginnen. Wie viele Löcher seien denn mit „ein paar“ gemeint, wollte ich NACH meiner Zusage noch wissen. Hunderteinundsechzig, meinte Rudi lapidar.
Seit diesem Tage beschwöre ich Petrus täglich mit einem Regentanz.
Eaea ea ea! Ea eaeaea ea!
Hopfen und Malz – Gott erhalt´s.

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