Samstag, Dezember 25, 2021

Wie der Weihnachtsmann einmal Schwein hatte


Es war zu der Zeit, als der Weihnachtsmann noch zu Fuß und alleine am Heiligabend den Kindern die Gaben brachte. Den prall gefüllten Sack mit Apfel, Nuss und Mandelkern zog er auf einem Schlitten hinter sich her, wenn er sich mit stapfenden Schritten den Weg durch den tiefen Schnee bahnte. Es war zwar eine anstrengende, aber machbare Arbeit, denn so viele Kinder lebten noch nicht im Land und von weit her musste er auch nicht reisen. Ließ man ihm doch tief im nahe gelegenen Wald, wo er das Jahr über hauste, seine Ruhe.

Es war also an einem Heiligen Abend in jener Zeit, da befand sich der Weihnachtsmann auf seiner Runde, um die Kinder eines besonders braven Köhlers und Waldbauern zu beschenken, als alles ein wenig anders wurde.

Der stattliche Mann in seiner roten Robe trat aus dem dichten Wald auf die Lichtung, auf der sich das Anwesen besagter Familie befand. Aus der Ferne sah er bereits die hell erleuchteten Fenster der behaglichen Wohnstube, so dass er seinen Schritt etwas beschleunigte, um bald den wärmenden Schnaps des Hausherrn zu erhalten. Damals hatte der Geschenkebringer noch für einen kleinen Plausch mit den Eltern Zeit, um sich über das Verhalten der Kinder auszutauschen. Als der Weihnachtsmann aber gerade die Stallungen passierte, hörte er aufgeregtes Grunzen. Neugierig öffnete er die Stalltür, wisperte leise einen Zauberspruch, sodass die Spitze seines Zeigefingers schwach, aber hell genug leuchtete, um sich im Stall umzuschauen. Siehe da: Dort war ein Schwein, welches grunzend und quieckend versuchte aus dem Gatter auszubrechen. Erneut sprach der bärtige Mann magische Worte und nun verstand er die Laute des Borstentiers: Nicht ins Haus! Nicht ins Haus! Waldwichtel warten! Wollen dir schaden! Wollen dir schaden!

 Es dauerte eine Weile, bis er das arme Tier etwas beruhigt hatte und sich ein Bild über die Lage verschaffen konnte. Eine Horde fieser Waldwichtel hatte ihm einen Hinterhalt bereitet und hielt dazu die Familie im Haus fest. Die kleinen Kobolde hatten es auf den Sack voller Gaben abgesehen. Doch so einfach sollten es diese Wichte nicht haben. Er wollte ihnen eine Lektion erteilen. Der Weihnachtsmann löste seine Rute und sprach erneut einen Zauberspruch. Die Rute wackelte und zwackelte und siehe da: Plötzlich schwebten zwei Ruten in der Luft, die beide wiederum wackelten und zwackelten und hoppla hopp waren es vier. So ging es, bis der ganze Stall voller Ruten hing. Mit dem Wink seines Zeigefingers jagten die Ruten schließlich aus der Stalltür ins Haus, welches nach kurzer Zeit von Klopfen und Wehklagen erfüllt war. Rettung suchend flüchteten die Wichtel in den Wald. Doch vergebens. Die Zweigebündel fanden sie auch dort und trieben sie vor sich her, in Richtung Heimstätte des Weihnachtsmanns. Dort sollten sie für ihre Missetat büßen, indem sie ihm auf allezeit zu Diensten waren.

Schließlich trat der Weihnachtsmann selbst ins Haus, fand die Familie unversehrt und bescherte ihnen die Gaben. Groß war die Freude, es gab sogar ein extra Gläschen Schnaps und fröhlichen Weihnachtsliedergesang. Schließlich bot der Herr des Hauses dem Retter an, gemeinsam den Jahreswechsel zu feiern. Es würde sogar ein Schwein geschlachtet und es gäbe Essen in Hülle und Fülle. Ob es sich um das Schwein im Stall handele, das geschlachtet werden solle. Ja, natürlich, ein anderes habe man nicht. Da wurde der Weihnachtsmann ernst. Als Lohn für die Rettung verlange er eben diese Sau. Der Vater war verunsichert und zögerte. Der Bauer müsse sich keine Sorgen machen, die Familie werde deshalb nicht darben müssen. Dafür werde er, der Weihnachtsmann, schon sorgen. Nun schickte der Vater den ältesten Sohn, um die Sau zu holen, denn an den Worten des sonst auch so großzügigen Mannes war nicht zu zweifeln.

Das Schweinderl konnte sein Glück kaum fassen, als es mit dem Weihnachtsmann von dannen zog, der mit schweren Schritten seinen Schlitten zur nächsten Bescherung zog. Es könne ihm doch helfen, grunzte es, schnappte sich kurzerhand den Strick aus der Hand des alten Mannes und trabte mit dem Schlitten und dem Sack davon. Verdutzt folgte der Weihnachtsmann seinem neuen Begleiter und in guter Zeit hatten sie alle Familien an diesem Abend besucht. Von nun an sollte das ungleiche Paar jede Weihnacht gemeinsam seine Runde machen. Die Kinder freute das so sehr, dass schon bald in vielen Stuben handgemalte Bilder vom Weihnachtsmann und seinem Schwein hingen.

So hätte es bis in unsere Zeit weitergehen können, jedoch kam es anders: Die Bevölkerung begann zu wachsen und die Menschen brauchten mehr Platz zum Leben und drangen immer tiefer in die Wälder ein. Der Weihnachtsmann war gezwungen, wollte er seine gewohnte Ruhe behalten, sich immer tiefer immer nördlicher in immer unwegsameres Gebiet zurückzuziehen. Aufgrund der größeren Zahl an Kindern war die Arbeit am Heiligen Abend zudem beschwerlicher geworden. Zuerst verzichtete der Weihnachtsmann auf seinen geliebten Schnaps, um die Runde pünktlich absolvieren zu können. Doch mehr Kinder brauchen auch mehr Geschenke, also war ein größerer Schlitten von Nöten. Diesen wiederum konnte das Weihnachtsschwein nicht mehr alleine ziehen. Hilfe kam von ein paar Rentieren, die der Weihnachtsmann im letzten Winter, der besonders hart war, durchgefüttert hatte. Jedoch stießen auch diese bald an ihre Grenzen, sodass der Rotgewandete gezwungen war, Magie anzuwenden. Von nun an sollte er mit einem fliegenden von Rentieren gezogenen Schlitten unterwegs sein, so wie wir es kennen.

Wo aber war das Schwein? Der Zauberspruch, der die Rentiere zum Fliegen brachte, versagte leider bei dem schweren Borstentier. Während also sich der Weihnachtsmann mit seinen Rentieren durch die Lüfte schwang, musste es am Boden bleiben, allein im tiefen Schnee bei Eiseskälte. Dem alten Herrn brach es das Herz, seinen geliebten grunzenden Gefährten immer wieder zurückzulassen.

Weihnachten rückte erneut einmal näher, seine Wichtel, die er einst mit Ruten vom Hof des Waldbauers getrieben hatte und nun fleißige und zuverlässige Helfer geworden waren, packten schon die ersten Geschenke in den riesigen Sack, als es an seine Tür klopfte. Dort stand ein pechrabenschwarzer Wichtel. Er war einst der Anführer der Horde gewesen und hatte eine besondere Aufgabe erhalten. Der Weihnachtsmann hatte nämlich begonnen, die Gaben nicht mehr persönlich abzuliefern, dazu war keine Zeit mehr, sondern sie durch die Schornsteine in die Stuben zu zaubern. Dazu mussten die Schlote aber frei und sauber sein und dafür sorgte in der Adventszeit der Schwarze Wichtel, der mit seinem Zylinder, seinem schwarzen Rock und der kleinen Leiter ein wenig an den uns bekannten Schornsteinfeger erinnerte.

Er habe seine Arbeit erledigt, Weihnachten könne kommen, berichtete er. Zufrieden nickte der Weihnachtsmann, griff in den Sack, um ein kleines Geschenk der Anerkennung herauszufischen. Aber, fuhr der Wichtel fort, er wisse nicht, ob er es im nächsten Jahr auch wieder rechtzeitig schaffen werde, da die Zahl der Häuser jedes Jahr zunehme. Es sei eine rechte Hetzerei. Wenn seine Füße von der ganzen Lauferei nur nicht so schmerzen würden, klagte der fleißige Wicht. Der Weihnachtsmann hielt inne – er glaube, eine Lösung zu haben und lies einen leisen Pfiff ertönen. Sogleich bog das Schwein um die Ecke. Ob es sich vorstellen könne, statt Schlitten zu ziehen den Schwarzen Wichtel beim Schornsteinfegen zu begleiten?

Die Antwort ist bekannt: Seit diesem Tage sind der kleine Schornsteinfeger und das Schweinchen gemeinsam unterwegs. Welch ein Glück!


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